Von Missgunst, Neid und anderen gewollt-gewählten bürgerlich -sozialen Verwerfungen ✔️


„Die spinnen doch … die im Fernsehen …“, regt sich mein Cousin Paule Hardt, etwas mehr als 55 Jahre alt und von bundesdurchschnittlicher Figur, mit etwas ausgedünntem Haar, plötzlich hörbar auf.

Paule saß entspannt im Fernsehsessel und hatte zudem auch das Steuergerät in seiner Hand.

Und wer Paule besser kennt, ahnt, nein, weis, dass es gleich von ihm einen mittelprächtigen Wutanfall geben wird.

Und tatsächlich, „… das muss man sich einmal vorstellen …“, fetzte er los, „… vier Milliarden Euros … vier Milliarden Euros … ich fasse es nicht!
Und diese Idioten tun nichts dagegen!“

Paule atmete mehrmals tief durch und sah mich darauf vorwurfsvoll an und wartete garantiert auf irgendeine Antwort von mir und diese dann auch noch passend zu den eben heftig hervorgebrachten Worten.

Na gut, ich bin dran. „… und was sind das für … vier Milliarden €?
Der aktuelle Marktwert der Bundesliga etwa … oder der von diesem Boss von Amazon, der seinen Safe nicht mehr schließen kann, weil kein Geld mehr hinein passt … oder der vom Bill Gates Portokasse … oder der des Wehretates?“

Paule musterte mich misstrauisch mit hochgezogenen Augenbrauen. „Typisch. Keine Ahnung von nix …“.

Ich kann mir es nicht verkneifen. „Minus mal Minus ergibt immer noch Plus nach Adam Riese … Plus, Paule.“

„Wie ich eben wieder einmal erkannte, ist das dir sowas von egal, wofür diese vier Milliarden € sind …“.

„Solange du es mir nicht verklickerst … ja“, war meine inzwischen etwas mürrische Antwort.
Paule klimperte etwas mit seinen Augenlidern und sah mich nun entgeistert an. „Ich habe mich aber sowas von aufgeregt …“ es geht schon wieder los und ich unterbrach ein wenig lauter. „Paule!“

Und der musterte mich zunächst und sagte im normalen Gesprächston „Vier Milliarden € … das ist die jährliche Schätzsumme der Diebstähle im Handel …“.

Ich gehe mal davon aus, dass sich Paule in der unfassbaren Höhe nicht vertan hat und nach einem gedanklichen Überschlag nenne ich ihm mein Ergebnis von vier Milliarden € geteilt durch zweiundachtzig Einwohner Deutschlands … das sind rund … eigentlich …“
„… gut sein, Toni … lass es gut sein …“ meinte Pauli zu mir, „… ich kenne diese vorne und hinten … ich sage es mal vorsichtig … geschummelten Berechnungen bestens …“

„Verstehe ich nicht, Paule … verstehe ich garantiert nicht …“, ich überlege hastig, um eine passende Antwort zu finden.

Ich, Toni, kurz vor dem 40. Geburtstag, mir gefällt das ganze Palaver nicht – Paule kennt mich wahrscheinlich besser. „Glaubst du etwa, da kommt jemand von den Lobbyisten ins Wirtschaftsministerium und übergibt freundlich-lächelst die aufgestellte Berechnung des Unternehmensverbandes über die Höhe der gestohlenen Lebensmittel und Ähnliches.

Glaub nur nicht, dass das Wirtschaftsministerium solche Berechnungen prüft.
Höchstens werden die aktuellen Berechnungen mit denen vom Jahr davor verglichen und gesichtsverlustsneutral abgenickt … und nehme mir eine neue Flasch Bier …“.

Paule erhebt sich etwas unbeholfen, geht zum Kühlschrank, nimmt sich eine Flasche Bier heraus, die er mit dem bereitliegenden Flaschenöffner vom Kronenkorken befreit und setzt sich wieder hin und mustert mich, als wäre ich ein blutjunger Prüfling aus irgendeiner Behörde, der Beamter werden will.

„Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass zum Beispiel dieser Unternehmensverband für … beispielsweise … Gummibärchen und Schaumküsse … seine Mitglieder aktiv auffordert, entsprechende Kosten für ein Jahr Einsatz an der Front für die Überwachung und Kontrolle der Langfinger zu übermitteln …“.

„… du gibst also zu, dass da doch geklaut wird wie die Weltmeister?“, fragte mich Paule fast triumphierend, nahm einen Schluck Bier und sah mich erwartungsvoll an, „… und da kommt eine Menge an Unkosten auf, die der solchermaßen bestohlene Unternehmer selber tragen muss … richtig oder falsch, Toni?“

„Och nee, Paule … nicht schon wieder dieses dämliche Spiel … es gibt mehr Nuancen als nur ja oder nein …“.

Paule senkte seinen Blick kurz, erinnerte sich wahrscheinlich daran, dass er und ich vor nicht allzu langer Zeit deswegen einen ziemlich heftigen Streit mit ausgefallen Beleidigungen und baldigen Handgreiflichkeiten geführt hatten.

„Abschließend nur noch eine Frage, Toni …“, begann Paule, „… welchen Sinn oder Unsinn haben die Unternehmergruppen, meinetwegen für Lollies und Brausepulver daran, ihre Unkosten für die Diebstahlaufklärungen ihrer Lollies und Brausepulver zu verschweigen?“

Ich habe keine Lust mehr darüber zu diskutieren und stehe auf, schlurfe zur Waschmaschine, programmiere die für Kochwäsche und drücke den Startknopf.

Die Waschmaschine läuft an und nach ein paar Umdrehungen setze ich mich zu Paule am Tisch und wir beide sinnieren schweigend vor uns hin.

Das geht so gut 10 Minuten, bis Paule sein Pils ausgetrunken hat, steht er langsam auf, klopft drei Mal mit seinen Knöchel auf die Tischplatte, sagt kurz. „… bis die Tage …“.

Geht aus meiner Küche und durch den kleinen Korridor zur Wohnungstür, öffnet diese, geht hinaus und zieht die Wohnungstür leise hinter sich ins Türschloss.

Da sitze ich nun, ich armer Tor und bin genauso so schlau wie zuvor.