Der Rollator als Ausrede: Gespräche ohne Ergebnis (29)


Immer öfter sagte sie nun, dass sie „endlich“ wieder spazieren gehen möchte. Nicht, dass sie das nicht schon längst mal hätte machen können, nein. Sie wollte nie. Weder spazieren gehen, noch uns besuchen kommen. Jetzt auf einmal wollte sie spazieren gehen. Aber dafür müsste ihr jemand den Rollator nach unten bringen und das würde ja niemand von uns machen! Ich weiß nicht, wie oft wir diese Diskussion hatten – sie endete immer gleich. Ewig die selben Vorwürfe.

Ich sagte ihr, dass ich das machen werde, sie solle sich melden, wenn sie den Rollator braucht. Sie sagte daraufhin: „Duuu willst das machen?! Das macht die Pflege irgendwann, ich muss da nur mal nachfragen“. Ich fühlte mich dann veräppelt, alleine schon wegen dieser Frage „Du willst das machen“. Ich bin seit vielen Jahren zweimal die Woche bei meinen Eltern und helfe dort bei allen möglichen Dingen, weil ich einfach möchte, dass sie so lange wie möglich Zuhause wohnen bleiben können und dann kommt so eine Frage bzw. Aussage.

Ich bot mich also nochmal deutlich an und schlug vor, dass wir ja auch zusammen eine Runde gehen könnten.

Was dann folgten, waren immer Ausreden. Ob ich mitkommen wollte oder nicht – es ist nicht ein einziges Mal dazu gekommen. Denn eigentlich wollte sie nur darauf aufmerksam machen, dass ihr keiner den Rollator unten hinstellt …

So verliefen in den letzten Jahren eigentlich die meisten Gespräche mit ihr. Wir kamen zu keinem wirklichen Ergebnis mehr.
  

Sollte sie etwas machen, hatte sie Schmerzen, teilweise auch ganz spontan und plötzlich und konnte das aus diesem Grund nicht machen. Sagte man ihr, sie müsse wegen den Schmerzen zu einem Arzt, sagte sie, sie könne nicht zum Arzt, weil sie noch „dies“ oder „das“ erledigen müsste. Bot man ihr an, „dies“ oder „das“ zu übernehmen, hatte sie eine andere Ausrede. Also musste sie weiterhin Schmerzen haben. Die Gespräche drehten sich im Kreis. Es waren regelrechte Verwirrspiele, die sie dabei mit uns machte. Sie hatte das die letzten Jahre absolut perfektioniert. Spätestens nach 10 Minuten wusste man nicht mehr, wie das Gespräch eigentlich begonnen hatte, weil wir bei völlig anderen Themen und auf einmal auch Vorwürfen ihrerseits waren.
  

Die Gespräche wurden immer anstrengender. Beim gemeinsamen Kaffeetrinken mit meinen Eltern brach immer häufiger Streit zwischen meiner Mutter und mir aus, aber auch zwischen meinem Kind und ihr. Sie wurde unverschämter zu uns. Frecher, noch beleidigender. Kannte keine Grenzen mehr. Alle hätten sich gegen sie verschworen.

  

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