Ein seltsamer Sturz: Unfall oder bewusste Selbstverletzung? (32)


Wenige Monate vor seinem eigenen tragischen und schließlich zum Tode führenden Unfall erhielt ich an einem frühen Samstagmorgen eine Nachricht meines Vaters. Meine Mutter sei gestürzt und würde nun im Wohnzimmer liegen. Das durfte nicht wahr sein, was war denn nun schon wieder los, dachte ich. Den Tag davor war ich den ganzen Nachmittag bis zum Abend fast 6 Stunden bei meinen Eltern ….

Ich riet ihm, den Rettungswagen zu rufen. Wenn sie wirklich gestürzt sei, dann könnten wir jetzt eh nichts machen, er solle sie auf keinen Fall bewegen und wenn die Rettung da war mir Bescheid geben.

Ich sagte auch deutlich, dass ich dieses eine Mal nicht rüberkommen würde. Es war früh, der Tag zuvor mit ihr war anstrengend, nun konnten mal andere übernehmen. Ich fragte ihn noch, ob ich den Notruf absetzen sollte, das wäre ja kein Problem, ich könnte das übernehmen. Er sagte, das sei nicht nötig, er würde selbst machen.
  

Eine gute Zeit später bekam ich erneut eine Nachricht von meinem Vater. Meine Mutter „möchte nicht“, dass er den Rettungswagen ruft. Ich war irritiert und fragte, ob sie jetzt die ganze Zeit immer noch auf dem Boden liegen würde. „Ja“, bestätigte er, sie würde immer noch da liegen. Im Hintergrund hörte ich sie, wie sie meinen Vater immer wieder unterbrach und irgendwas unwichtiges dazwischen rief. Ich wurde sauer und mir rutsche der Satz raus „Das darf doch wohl nicht wahr sein!“.

Ich wies meinen Vater deutlich an, das Zimmer in dem sie lag, zu verlassen, denn sie rief immer noch irgendwelche Sachen dazwischen und wollte ihn unterbrechen. Dann sollte er unverzüglich den Notruf wählen. Ich merkte, wie überfordert er mit der Situation war und beschloss, unverzüglich zu meinen Eltern rüberzugehen. Ich vermute, dass meine Mutter ihm auf dem Boden liegend die ganze Zeit über mächtig eingeheizt hatte. Ich beendete das Telefonat, zog mich an und ging in Richtung meiner Wohnungstür, als ich im Hausflur schwere Schritte hörte und es auf einmal laut an meiner Wohnungstür klopfte.

Ich schaute durch den Spion und erblickte … 2 Sanitäter. Sie klopften noch mal lauter an meiner (!) Tür. Sehr irritiert öffnete ich diese, sie sagten mir – natürlich laut genug für alle Nachbarn am frühen Samstagmorgen im Hausflur zu hören – dass zu mir (!) die Rettung gerufen worden wäre.

Nun wohne ich seit ein paar Jahren nicht weit entfernt von meinen Eltern … mein Vater war so überfordert mit der gesamten Situation, dass er wohl versehentlich den Rettungswagen zu mir anstatt zu sich bestellt hatte. Das war zu viel für mich. Ich schnappte mir die beiden Sanitäter und ging wutentbrannt mit ihnen zu meinen Eltern rüber. Unterwegs erklärte ich den beiden schon die Situation und auch, dass wir bereits unzählige Rettungswageneinsätze in den vergangenen Jahren hatten.
  

Wir fanden meine Mutter auf dem Boden liegend vor. Kerzengerade liegend auf einem Teppich. Den Sanitätern und mir war sofort klar, dass dies nicht der Ort des Sturzes gewesen sein konnte. Und so war es dann auch, meine Mutter hatte meinen Vater so fertig gemacht, bis er nachgab und sie ein ganzes Stück vom PVC auf einen Teppich zog, damit sie es wärmer hatte.

Er selbst gab dann auch weiterhin an, dass er den Sturz überhaupt nicht mitbekommen hatte, er war zu diesem Zeitpunkt in einem anderen Zimmer. Sie selbst gab auf die Frage, was passiert sei, an, dass sie gestürzt wäre. Nicht wie es passiert ist, also das, was man sonst normalerweise nach einem Sturz so erzählt – gar nichts.

Uns allen, auch den Sanitätern, kam das spanisch vor. Sie wurde abgetastet, schrie bei jedem bisschen los. Niemand glaubte ihr zu diesem Zeitpunkt. Wir sprachen alleine mit den Sanitätern, auch für sie sah es nicht so aus, als wenn sie Verletzungen hätte. Da sie aber beim abtasten schrie und ein Sturz angegeben wurde, musste man sie natürlich mitnehmen. Sie wollte erst ablehnen – das machte sie immer. Jedes Mal gab sie an, dass sie nicht mit ins Krankenhaus möchte, ich vermute, damit es „echter“ wirkte. Da mir die Geschichte mit dem Sturz aber nicht so ganz geheuer war und ich nicht wusste, ob sie sich vielleicht bewusst verletzt hatte, sagte ich ihr sehr energisch, dass sie ins Krankenhaus mitfahren müsste. So ginge es ja nicht weiter. Sie wurde mitgenommen, wir sprachen danach wie immer mit meinem Vater und beruhigten ihn.
  

Stunden später … meldete sich mein Vater. Meine Mutter hatte sich etwas im Bereich des Beckens und die Schulter bzw. den Arm gebrochen. Ich war überrascht, das muss ich zugeben. Ich hatte das erste Mal tatsächlich daneben gelegen, ich hätte wetten können, sie hat nichts. Auch die Sanitäter schätzen sie tatsächlich so ein wie ich.

Bis heute sind wir uns relativ sicher, das es kein Unfall war. Wir vermuten, dass sie sich in ihrer selbstzerstörerischen Art absichtlich hat fallen lassen. Das hatte sie ja schon mehrere Male zuvor versucht und meinen Vater damit auch schon verletzt. Als das nicht die erwünschte Wirkung bei ihr hatte, muss sie sich diesen Morgen alleine – wie auch immer – zu Fall gebracht haben. Es klingt eigenartig, ja, ich weiß das. Aber ich bin mir sicher, dass dies kein Unfall war. Und ich stehe mit dieser Meinung zum Glück nicht alleine da.
  

Das unvermeidliche Ende: Allein mit ihrer Krankheit (33) »