Bagoyi – Kapitel 020


„… und immer, immer wieder geht die Sonne auf …“

Ein neuer Morgen fängt an.

Ich liege im Bett und betrachte abwechseln die drei Aussichten … das Allgäu, die Ostsee und das Ruhrtal.

Die Mischung ist faszinierend genug, um alles um sich herum zu vergessen.

Während diesmal das Hochgratmassiv unter einer Nebelglocke verdeckt ist, und an der Ostsee Regenschauer über das Land peitschen, geht die Sonne strahlend über dem Ruhrtal bei Hattingen auf.
  
Je mehr ich mich auf dieses herrliche Bild konzentriere, um so … besser vernehme ich die Geräusche, die den Morgen begleiten.

Vogelgezwitscher, Autolärm der Straßen, Geräusche einer erwachten Stadt dringen an mein Ohr.

Dazu ein unwahrscheinliches plastisches Bild – es ist zum Schwärmen.

Und ich tue es auch.

Plötzlich bin ich mittendrin in diesem Bild … und der Realität.

Mein Blick wandert von dem Aussichtspunkt auf der Mauer nach links zur Stadt.

Fenster öffnen sich oder Lichter werden dahinter angemacht, Menschen verlassen die Häuser und gehen zu Fahrzeugen.

Ich wende meinen Blick und schwebe ins Ruhrtal hinab, dorthin, wo die Natur in ihrer vollen Pracht und Herrlichkeit zu sehen ist.

Die Wasserburg Kemnade erhebt sich in mitten des Talgrundes, der Stausee hat noch leichte Nebelfetzen auf der Oberfläche.

Ein prachtvolles Bild voller Harmonie.
  
Ich erhöhe meinen Aussichtspunkt und blicke weit über das Ruhrtal. Im Dunst des Morgens sehe ich linker Hand Bochum, weit vor mir ahne ich Dortmund mehr, als ich es sehen kann.

Autos wie Spielzeuge befahren die Straßen, die Autobahnen; der Lärm dringt bis in meine Höhe.

Mich fröstelt etwas, die morgendliche Kühle … Moment mal, ich bin im Bett und … das Bild löst sich in seiner unbeschreiblichen Reinheit auf und ich bin wieder in meinem Zimmer.

Jetzt verstehe ich das Ganze.

Fernsehen total?!

Der nächste Versuch.

Allgäu.

Und hier die gleiche Prozedur.

Ich konzentriere mich auf das Bild und bin auf einmal mittendrin.

Je stärker ich mich konzentriere, um so massiver werden meine Gefühle angesprochen.
  
Die Nebelwand kommt näher, ich höre kaum noch etwas, die Kühle trifft mich, so dass ich mich fest in meine Bettdecke einwickeln muss.

Unter mir Oberstauffen, dann Steibis, dann die Talstation der Seilbahn.

Graue Dämmerung liegt über den neben der Talbahn sich befindenden breiten Bach, ein leichter Wind schiebt den Nebel weiter.

Die Feuchtigkeit ist unangenehm.

Ich mach hier Schluss und will mir die Ostsee ansehen.

Der Rücksturz ins Zimmer ist diesmal nicht so problematisch.

Ich kann mich darauf früh genug um – und einstellen.

Ich drehe mich zu dem neuen Ziel um.

Die Ostsee.
  
Mein Blick heftet sich auf den Bildschirm – und schon bin ich dabei.

Unter mir liegt der neu errichtete Strand von Schönberg-Holm.

Regen fällt an mir vorbei – verstohlen fasse ich mein Gesicht an.

Alles noch trocken, kein Tropfen abbekommen.

Zurück.

Vor mir die aufgewühlte Ostsee mit den tiefhängenden Wolken.

Blitze zucken über das Wasser, Donnergrollen dringt in mein Ohr.

Das Grollen wird stärker, ich zucke vor … Angst zusammen, als unter mir ein Düsenjäger ins Bild donnert und in Blickrichtung weiter düst.

Kriegsspiele.

Ich erhöhe meinen Standort und sehe im Dunst des Regens zur Linken die Umrisse von Kiel.

Einige Schiffe sind vor der Einfahrt zum Nord-Ostsee-Kanal zu sehen.

Ich ahne mehr, als ich sehen kann, ob sie einfahren oder ausfahren.

Das Bild ist unwirklich, unangenehm und es friert mich etwas.

Das reicht für heute Morgen.
  
Jetzt habe ich Hunger und möchte etwas Schönes essen.

Durch diese ablenkenden Gedanken falle ich fast aus dem Bett heraus … ich finde mich wieder im warmen Bett vor.

Fernsehen total?

Grausam, aber echt!

Neben dem Bett steht etwas, was bei viel Fantasie wie eine Bettkonsole oder ein kleines Schränkchen aussieht.

Darauf liegt mein Multi – jenes Gerät, mit dem ich die besonderen Geräte dieses Raumes aktivieren kann.

Nun bestelle ich mir ein Frühstück á la Karte. Ich betätige den entsprechenden Knopf – oder Sensor – und das Kugelbild baut sich sofort auf.

Meine Auswahl beginnt.

Es ist fantastisch – ich komme wieder leicht ins Schwärmen – was und wie ich mein Frühstück aussuchen kann.

Nur eines macht mich dabei neugierig – wie wird das Essen so schnell zubereitet?

Meine Auswahl ist fertig und das Kugelbild lasse ich verschwinden.

So, wie geht es nun weiter?

Nicht verzagen, Piggy fragen.

Also raus aus dem Bett und Piggy suchen.

Aber wo?

Da bietet sich nur der Flur an.

Gesagt, getan.
  
Ich steige aus dem Bett, ziehe einen Morgenmantel über und schlüpfe in meine Pantoffeln – Marke Komm-mit – und gehe zur Tür.

Dabei bin ich schon gespannt, was mich hinter der Tür erwartet.

Diesmal will ich es wissen.

Ich öffne die Tür und betrete den Flur.

Das Licht hat sich sofort eingeschaltet.

Voller Neugierde betrachte ich das erste Mal bewusst diese Örtlichkeit.

Eine Tür kenne ich – meine Toilette.

Insgesamt sind es mit meiner Zimmer- und Toilettentür neun Türen, die in diesen Korridor münden.

Wo aber ist Piggy?
  
„Suchst du mich?“ Höre ich eine weibliche Stimme.

Wer kann das wohl sein?

Na klar, Piggy hat mich beobachtet.

Wasch dir die Hände und geh in dein Zimmer – ich bringe dein Essen …, sagt sie.

Ist sie nicht fantastisch, dieses Roboterweib?

Ein Prachtstück!

So menschlich, wie unser Mutter.

So rührend, direkt und … kompromisslos.

Mit dem aufreizendem Charme einer zustoßenden Klapperschlange.

Und das am frühen Morgen!

Der Tag fängt ja gut an … aber … mein Hunger ist inzwischen so groß, als dass ich mich nicht auf eine Diskussionen einlassen kann und will.

Im Zimmer ist mein Frühstückstisch schon gedeckt.

Es sieht … gut, freundlich auf dem Tisch aus.

Schon beinahe … bestechend angenehm … hat da wohl jemand Gewissensbisse?

Nachdenklich setzte ich mich an den Tisch und bemerke etwas erstaunt, wie Piggy mein Bett macht.

Dabei bleibt mir fast das Essen im Hals stecken.

Sie richtet die Decke wie eine erfahrende Hausfrau aus – glatt, faltenlos.

Ihre Hände streichen abschließend über die Decke, zupfen hier und dort an den Ecken.

Fertig.
  
Besser hätte es meine Oma und unser Mutter auch nicht machen können.

Ich bin platt – alles ein Programm?

Langsam kaue ich meine Mahlzeit durch – wer weiß, ob sie nicht auch so ist wie.

Ess´ langsam, kaue vernünftig, nicht so hastig und ähnlichen Schrott von sich gibt, was ich aus meiner Kindheit zur Genüge kenne – und ich bin nachdenklich geworden, und auch mit dem Essen fertig.

Während meiner nicht sehr positiven Überlegungen und Beobachtungen ist Piggy bereits aus dem Zimmer gegangen.

Ich bin wieder alleine.

Mich fröstelt es etwas, wenn ich mir vorstellen soll, so weiterhin … bedrückend und bevormundet versorgt zu werden.

Da muss sich was ändern.

Koste es, was es wolle.

In wenigen Tagen erscheint hier das nächste Kapitel