Bagoyi – Kapitel 007


Aus dem Nebel schälte sich eine unwirkliche Gestalt heraus.

Ich sah genau, dass eine Hand näher kam, sich öffnete und ein kleiner Gegenstand gegen meinen Kopf gepresst wurde.

Darauf war die Hand war leer, das Gesicht verschwand und der Nebel war wieder da.

Und ich war wieder alleine.

Meine Augen wurden immer… hier wurde ich aber stutzig.

Wieso konnte ich denn wieder sehen?

Da stimmte doch was nicht.

Welche Teufelei hatte sich ´DER´ denn nur noch ausgedacht?

Ein gewaltiger Lichtblitz durchzuckte meinen Kopf und ließ mich zusammenschrecken.

Sofort war mein Sehbereich wieder dunkel.

Und in meinem Kopf – also da, wo ich bisher immer annahm, das da mein Gehirn sitzt – begann etwas zu kribbeln.

Und wurde dann wieder ruhig.

Ich dachte, mich hätte ein Pferd getreten.

Wieder dieses Gefühl im Gehirn – eine Art von zuckender Bewegung.

Gleichzeitig beginnen Sehstörungen – paradox, doch grausam wirksam.

Ich sehe in einer merkwürdig verzerrten Perspektive mein Krankenbett, das Zimmer und, wie gerade jemand die Tür hinter sich zumacht.
Von außen!
  

Dazu diverse Geräusche ohne Sinn.

Und mein Kopf schmerzt.

Das Bild, das ich sehe, hat häufig Störungen wie im Fernsehen bei schlechtem Empfang.

Schlieren, Flimmern, Verzerrungen – Frankenstein lässt grüßen.

Und ich mittendrin.

Mir wird langsam schlecht, ich muss würgen.

Wieder ein Blitz im Gehirn – wieder dieses Kribbeln.

Danach Störungen im Bild und Ton.

Meine Störungen.

Das Bild, welches ich erlebe – anders kann ich es nicht beschreiben – verläuft in Farben, Formen und… lange werde ich es nicht mitmachen.

Das hält doch kein Schwein – geschweige denn ein Mensch – aus.

Pause… kein Blitz.

Erschöpft atme ich tief durch.

Wenn ich jetzt dieses Miststück von einem Kerl in die Finger bekommen könnte… genüsslich würde ich ihn zuerst die…

Blitz!

Noch einer!

Mein Kopf zerspringt fast!

Ich muss hier raus!

Koste es was es wolle, ich muss hier weg!

Vorsichtig erhebe ich mich im Bett und setzte meine Füße auf den Boden.

Mein Sehbereich verschiebt sich trotz der verlaufenden Formen und Farben.

Ich sehe mich perspektivisch von oben betrachtet.

Mein Kopf ist in Verbandsmaterial eingewickelt.

Ich habe ein weißes Nachthemd an – und auch das noch, hinten geschlitzt und offen – und meine Füße baumeln aus dem Bett.

Gerade als ich aufstehen will, fegt wieder ein Blitz durch meine Birne.

Volltreffer!

Ich befinde mich plötzlich auf dem Boden, so, als wenn mir jemand die Beine unter dem Hintern weggezogen hätte.

An meiner Wange läuft etwas Warmes herab.

Meine Hand tastet danach – ich sehe von oben, dass das Blut ist.

Mein Blut.

Der Kopf schmerzt, ich will hier heraus!

Ich beginne auf allen Vieren zur Tür zu krabbeln.

Nur fort von hier!

Durch die neue Art des Sehens muss ich höllisch aufpassen und mich stark konzentrieren.

Die Tür kam näher und ich richte mich an der glatten Fläche auf, greife zur Klinke und drücke sie herunter.

Die Tür schwingt auf – Freiheit!

Vorsichtig, und mit ausgestreckten Armen wie ein Schlafwandler, gehe ich einen Korridor entlang.

Blitz, Donner und mein Aufschlag auf den Boden unterbrechen meine Flucht.

Und wieder auf dieselbe Stelle, ich glaube meine Birne wird langsam weich!

Ich rapple mich erneut auf, konzentriere mich auf meinen Sehbereich – alles Gute kommt von oben – und wanke weiter.

Ein Königreich für eine Tür!

Egal wohin – hauptsächlich nach draußen!

Vor mir ist eine Zimmertür ein Spalt offen egal, ich muss nachsehen.

Langsam bewege ich mich dahin, mein Super-universal-so-von-oben-blick zeigt mir einen menschenleeren Raum mit spärlichem Mobiliar.

Auf den Tischen stehen Aschenbecher – unappetitlich mit Zigarettenkippen gefüllt.

An der Kopfseite ist ein Fenster auf und… ich sehe dahinter den Garten.

Gerade, als ich mich leise zwischen den Stühlen zum Fenster bewegen will, trifft mich wieder dieser Blitz.

Ich falle auf den Tisch und mit meinem Gesicht in einen vollen Aschenbecher.

Um Gotteswillen – nur nicht husten!

Krampfhaft würge und atme ich vorsichtig durch, damit niemand mich hört.

Dabei gelangen allerlei an Zigarettenreste in meinen Mund.

Was soll´s!

So gut ich kann, spucke ich den Dreck aus.

Einiges bleibt im Mund und ich muss es herunter schlucken.

Weiter!

Das Fenster kommt näher, ich kann mich hinaus schwingen und betrete den Garten.
  

Kühle Nachtluft weht mir von hinten in mein Hemd.

Egal, wie ich aussehe – weiter.

Vor mir ist eine Mauer zu sehen – ich muss darüber!

Meine Hände greifen zur Mauerkrone und ich versuche, mich hochzuziehen.

Klappt nicht – ich habe wohl nur noch Pudding in den Armen.

Keine Muckis mehr!

Die Füße tasten die Mauer mit ab.

Es klappt.

Unterstützt durch meine Beine kann ich mich über die Mauer ziehen und auf der anderen Seite langsam herunter gleiten lassen.

Schwer atmend sinke ich auf den Boden. Ich zittere am ganzen Körper. Gerade als ich mich orientieren will, wieder ein Blitz im Kopf.

Danach ein gewaltiges und unangenehmes Kribbeln unter der Schädeldecke.

Aufstöhnend presse ich meine Hände vors Gesicht – oder dahin, wo ich vorher eines hatte, als mich plötzlich eine Hand anfasst, sich festkrallt und eine Stimme heißer flüstert. „Mensch, Alter, dia ham´ se aba janz schön zujerichtet.
Da haste aba Jlück jehabt, dett de hier gelandet bist.
Du bist janz schön außer Puste, komm, hier… zieh dia mal na Lulle rein.
Du sollst sehn, det hilft.
Mensch Meier… deine Omme sieht ja zum Schreien aus.

Wat mal, ick helf ja, hier, nimm erst mal meine Kippe und… sach mal, wo ist deine Klappe?
Ick mach mal den Verband wat weck, so, jetzt hineiiin Onkel Otto.
Los, zieh mal, det is ne jute selbstgedrehte.
Ick sach dir, det is ´ne prima Mischung.
Mein Jeheimrezept.
Und denn ruhste dia mal wat aus und wir beede hauen dann von hia ab, klaro?“

Ziemlich benommen ließ ich alles mit mir geschehen.

Ich inhalierte den Glimmstängel Marke Intercitybahndamm mit frischem Dioxin und eingelegtem PCB – der auch so schmeckte – und lehnte mich rückwärts an die Mauer.

Jetzt hatte ich erst mal Zeit, mein Gegenüber und die Umgebung zu betrachten.

Ich saß in einem Busch, der längst der Mauer entlang wuchs.

Neben mir hockte ein ziemlich alter Mensch – struppige Haare, zerlumpte Kleider.

Aus seinem Munde schlägt mir eine Wolke von Fuselgeruch entgegen.

Es ist wohl ziemlich dunkel hier, draußen, denn der Alte fummelte ständig am Boden herum, als wenn er was suchte.

Dabei brabbelte er ständig vor sich hin.

Wieder ein Blitz, dann sofort dahinter ein Zweiter.

Mein Kopf droht zu zerspringen – in meinem Schädel ist der Teufel los!

Aufstöhnend presse ich meine Hände vor den Kopf.

Der Alte hört mit seiner Sucherei und dem Gebrabbel auf und dreht sich zu mir herum.

Sein Gesicht kann ich wegen der Perspektive – sie wissen ja, so von oben herab – nicht sehen, jedoch scheint Mitgefühl wegen meiner Problem ihn abzulenken.

Er schüttelt den Kopf und spricht mich direkt an. „Mensch Meier… dia jeht et wohl nich jut, wa?
Na ja, wie du och aussiehst.
Ick jlobe, det dia ´n Schluck aus der Pulle jut tut.“

Er greift in eine seiner Taschen und holt eine Flasche heraus, die er öffnet und mir an den Mund hält und dabei geschickt die Kippe herausnimmt.

Langsam hebt er die Flasche an, und ein Gesöff – Marke Urwaldmaggi, der jeden Dinosaurier garantier sofort flach legt – fließt in meinen Mund.

Und da ich durstig bin, beginne ich auch zu schlucken.

Oh mein Vater – das war eine Prozedur!

So ähnlich muss wohl im Dreißigjährigen Krieg der berühmte Schwedenpunsch geschmeckt haben.

Kaum das der erste Schluck bei mir im Magen angekommen ist, da beginnt auch schon das große Würgen.

Dabei drehe ich den Kopf weg und etwas von dem Gesöff läuft mir ins Gesicht.

Plötzlich spüre ich ein fürchterliches Brennen im Gesicht – genau dort, wo der Fusel hingekommen ist.

Und mein Gesicht brennt immer mehr.

Meine Hände krallen sich in den Verband, um ihn vom Gesicht abzureißen.

Und dabei trifft mich wieder ein Blitz im Kopf.

Nur dieses Mal ist es so schlimm, dass ich bald glaube, es ist endgültig Schluss mit mir.

In Panik reiße ich mir den Verband herunter und meine Hände berühren zum ersten Mal nach langer Zeit wieder mein Gesicht.

Und auf einmal höre ich ein fürchterliches Gebrüll neben mir.

Der Alte!

Durch das Gebrüll werde ich etwas von meinen Schmerzen abgelenkt und ich sehe, wie der Alte erschreckt aufgesprungen ist.

Seine Hände deuten auf mich und seine Schreie durchdringen die Nacht. Hilfe… Hilfe… ein Geist… mein Herz… ick…

Und in Zeitlupentempo greift sich der Alte ans Herz, deutet auf mich und kippt langsam um.

Genau in meine Richtung.

Und dann knallt es bei mir.

Doppelt.

Im und am Kopf.

Und ich liege unter dem Alten, bekomme keine Luft mehr, alles wird schwarz um mich und dann ist es aus.

Irgendwann erkenne ich viele Leute um mich herum, schemenhaft und undeutlich.

Und auf einmal kommt eine Gestalt auf mich zu, kniet sich neben mir hin und beugt sich zu mir herunter.

Erstaunt höre ich die Worte. „Halt aus!
Ich helfe dir.
Was immer du jetzt erlebst, denke an meine Worte.
Du bekommst Hilfe von uns.
Das verspreche ich dir.
Das sind wir dir schuldig.
Gleich sind alle Schmerzen vorbei.
Bis bald!“

Eine Hand berührt meinen Arm, ich spüre einen Stich – und dann nichts mehr.

Endlich!

Endlich?