Gefährliche Manipulation: Als mein Vater seine Grundbedürfnisse ignorierte (28)


Corona war fast vorbei – meine Eltern wollten irgendwann unbedingt wieder raus in die Normalität, ich konnte sie ja nicht ewig schützen. Als wir eines Tages angekündigt zu den beiden kamen und klingelten, öffnete mir keiner die Wohnungstür. Ich war irritiert, kannte aber die Spielchen meiner Mutter. Als ich den Wohnungsschlüssel, den ich immer bei hatte, nahm und die elterliche Tür öffnete, war der Hörer der Gegensprechanlage abgenommen und das Kabel des Hörers mehrfach um die Türklinke der Wohnungstür gewickelt, so dass wir Mühe hatten, die Tür zu öffnen.

Wir riefen mehrfach in die Wohnung, irgendwann kam mein Vater aus dem Schlafzimmer zu uns an die Tür. Ihm ging es nicht gut. Da wir das kannten – er litt ja unter anderem an einem chronischen Erschöpfungssyndrom – gingen wir in die Wohnung, sprachen mit ihm, setzten uns zu ihm in die Küche, gaben ihm etwas trinken. Er wirkte irgendwie abwesend, das war 4 Tage zuvor noch nicht so.

Als ich dann nachfragte, wo denn nun meine Mutter sei und wer die Tür mit dem Kabel der Gegensprechanlage eingewickelt hätte, sagte er, dass sie sich auch hingelegt hätte, ihr würde es auch nicht gut gehen und sie wäre das mit dem Kabel gewesen. Warum wüsste er nicht.

Ich ging zu ihr ins Schlafzimmer – sie lag wie tot im Bett. Auch das war ein Anblick, den ich seit meiner frühesten Kindheit von ihr kannte. Ich dachte mir nichts dabei und sprach sie an. Sie hauchte mich fast sterbend an, wie schlecht es ihr ginge. Und ich sollte ihr das Kissen richten. Ich beugte mich über sie, um das Kissen zu richten und genau in diesem Moment hauchte und hustete sie mir direkt ins Gesicht.
  
Ich drehte mich leicht weg, denn niemand mag es, wenn einem direkt ins Gesicht gehustet wird und sagte kurz „Hey, mach doch wenigstens die Hand vor den Mund!“. Ich dachte mir noch immer nichts dabei. Sie meinte dann, es würde ihr so schlecht gehen, ich müsste den RTW holen. Sie hätte schon seit Tagen Blasenschmerzen und die Nieren und die Bauchspeicheldrüse und und und.

Genervt rief ich den Notruf – was soll man machen? Wie bereits erwähnt, ich möchte nicht wegen unterlassener Hilfeleistung eines Tages dafür gerade stehen müssen … Der RTW kam mal wieder. Eine Sanitäterin erwähnte dann nebenbei, dass meine Mutter ja vielleicht auch Corona haben könnte. Ich glaubte es nicht, denn meine Mutter war diesbezüglich super vorsichtig. Natürlich wurde sie aufgrund ihres Alters mit ins Krankenhaus genommen. Gerade sie wäre die Erste gewesen, die bei irgendwelchen Symptomen an Corona gedacht hätte!!!

Danach versorgten wir meinen Vater, der immer noch total weggetreten wirkte. Irgendwas stimmte hier nicht, das war mir klar. Ich wusste nur nicht, was los war. Tage zuvor fuhr er noch Auto, redete, lachte, kümmerte sich um den Abwasch, Betten machen, hing Wäsche auf, fuhr einkaufen und sonstiges, war klar im Kopf. Jetzt saß er am Küchentisch und wusste nichts mehr. Auf meine Frage, wann er das letzte Mal etwas getrunken hatte, sagte er ebenfalls, dass er es nicht mehr wüsste.

Wir gaben ihm nach und nach etwas zu trinken. Nach einiger Zeit fragte ich vorsichtig nach, wann er denn zuletzt etwas gegessen hätte. Er wusste es nicht mehr. Ich machte ihm erst mal eine Kleinigkeit zu essen. Erschöpft und langsam aß er. Wir setzten uns zu ihm hin.
  
Eine ganze Zeit nach dem Essen und noch mehr Trinken merkte man so langsam, das er wieder klarer wurde. Im Verlaufe des Gesprächs konnten wir dann auch feststellen, dass er seine Medikamente die letzten 3 Tage nicht genommen hatte (Herzmedikamente, Blutverdünner, etc.). Als es ihm nach und nach immer besser ging, fragte ich erneut, wann er denn das letzte Mal etwas gegessen und getrunken hatte.

Und so kam folgendes raus: Freitagnachmittag waren wir noch zu Besuch. Da war die Situation mit meiner Mutter schon „angespannt“. Samstagmorgen entschloss sie sich dann, hinzulegen, weil es ihr wieder einmal „schlecht“ ging. Mein Vater hatte sich Samstagabend noch selbstständig Abendbrot gemacht und ist danach ins Bett gegangen.

Sie gab dann wohl bei ihm an, dass sie kein Essen machen könnte, weil es ihr so schlecht ginge und wäre angeblich seit Samstag nicht mehr aufgestanden. Er ist dann auch einfach liegen geblieben. Bis wir am Dienstag nun da waren. Als ich meinen Vater dann nochmal genauer fragte, gab er an, dass seine letzte Mahlzeit tatsächlich am Samstagabend war, das letzte Mal getrunken hatte er einen Tag zuvor „irgendwann“ am Montag.

Ich konnte es nicht fassen. Für jeden Piep wurde ich sonst angerufen, benachrichtigt, informiert. Wir standen ständig in Kontakt. Was war denn hier die Tage passiert?
  
3 Tage später ging es mir auf einmal schlecht … ich machte einen Corona-Test, obwohl das ja eigentlich nicht sein konnte – und er fiel positiv aus. Ich war absolut überrascht und ging mit Mundschutz und Handschuhen sofort zu meinem Vater, um ihn zu testen und auch er war positiv. Ich überlegte, wo wir beide uns hätten angesteckt haben könnten … es gab eigentlich nur eine Möglichkeit – meine Mutter. Sie lag zu der Zeit immer noch im Krankenhaus. Ich informierte sie umgehend und versuchte mehrfach herauszukriegen, ob sie nun Corona-positiv sei oder nicht. Man glaubt es nicht – es war nicht möglich. Ich war sauer.

Sie hatte zig Ausreden gefunden, warum sie jetzt keinen Arzt oder eine Schwester fragen könnte, sie wäre nicht positiv und und und. Ich hatte ihr dann mehrfach sehr scharf und deutlich gesagt, dass sie verpflichtet sei, einen evtl. Corona-Fall zu melden. Sie gab an, dass sowie jeder neue Patient bei der Aufnahme getestet wurde und sie wäre negativ. Tage später erzählte sie, sie wäre erneut getestet worden und sei weiterhin negativ.
  

Ich weiß es bis heute nicht 100%-tig. Aus ihren Zwischenbemerkungen in den Gesprächen heraus lässt sich aber ableiten, dass auch das Krankenhaus über ihre Corona-Erkrankung informiert sein musste. Den Entlassungsbericht aus dem Krankenhaus, den ich natürlich sehen wollte, habe ich nie zu Gesicht bekommen. Sie wird wissen, warum sie diesen vor uns allen versteckt.

Böse Zungen könnten natürlich behaupten, dass sie uns absichtlich angesteckt hat. Sie, die sehr genau über medizinische Themen etc. Bescheid weiß. Garantiert erkannt hat, dass sie an Corona erkrankt ist.

Vielleicht auch gehofft hat, dass mein Vater daran stirbt. Wer weiß. Zuzutrauen wäre es ihr. Mich dann auch noch anzustecken, als ich ihr das Kissen aufschütteln sollte. Bei jeder anderen Person hätte ich gesagt, dass niemand „so“ böse sein kann und bewusst und mutwillig andere ansteckt. Bei ihr bin ich mir ziemlich sicher, dass das Absicht war. Es ging ihr auch nicht so schlecht, dass sie nicht aufstehen konnte.

Denn: Irgend etwas an der gesamten Geschichte konnte nicht stimmen. Als ich die beiden am diesem Dienstag so vorfand, sah ich, dass neben ihrem Bett frisches Trinken stand, sie hatte alle ihre Medikamente die letzten Tage genommen und auch mit ziemlicher Sicherheit etwas gegessen. Sie war gewaschen, ihre Haare waren gekämmt, sie hatte (im Bett liegend) frische Kleidung an. Als die Sanitäter kamen, merkte man, dass sie bei weitem nicht so schwach war wie mein Vater.

Was war da also vorgefallen?! Ich weiß es bis heute nicht. Hat sie ihn wie so häufig überredet, einfach noch liegen zubleiben? Er, der bei so etwas dann irgendwann nur bereitwillig einlenkte und sich ihrem Willen unterordnete?

Warum war die Türklinke der Wohnungstür mit dem Kabel der Gegensprechanlage umwickelt?! Warum hatte sie mich nicht informiert, angerufen, wie sonst auch?
  

Ich werde nie vergessen, wie ich danach noch mehrfach lange Gespräche mit ihm darüber führte. Ihn noch einmal deutlich vor Augen hielt, wie gefährlich es für ihn sei, wenn er sich ihr so sehr unterordnet, dass er sogar Essen und Trinken einstellt und seine Medikamente nicht nimmt! Im Nachhinein erkannte er dann selbst, in welche Situation er sich begeben hatte.

Von da an machte ich mir ernsthafte Sorgen um meinen Vater. Dass sie ihn so dermaßen manipulieren konnte, hätte ich nicht gedacht. Wie kann ein Mensch freiwillig seine Grundbedürfnisse einfach ignorieren für jemand anderen, Corona hin oder her? Was muss da zwischen den beiden vorgefallen sein, dass er einfach ohne Essen, Trinken und Medikamente liegen bleibt? Was wäre denn passiert, wenn wir an diesem Dienstag nicht zu Besuch gekommen wären?!!!

Wie viele Tage hätte sie ihn denn noch so liegen gelassen? Ich war einfach nur entsetzt und sah zu diesem Zeitpunkt erst so richtig, wie toxisch sie wirklich war – und gefährlich für ihn. Ich bin mir sicher, dass sie nicht diese 3 Tage im Bett lag, sondern aufstand, während er immer mehr wegdämmerte, ohne Essen und schlimmer noch ohne Trinken.

Mein Vater erholte sich nach diesem Vorfall wieder und versprach mir, dass er nie wieder für sie Essen und Trinken einstellen würde.

Das alles passierte ziemlich genau ein Jahr vor seinem Tod.
  

Der Rollator als Ausrede: Gespräche ohne Ergebnis (29) »