Vertrauliche Gespräche: Als mein Vater den Mut fand, sich zu öffnen (26)


Die Corona-Zeit kam und ich versuchte wie wahrscheinlich viele, meine mittlerweile alten Eltern so gut wie es ging vor Corona zu schützen. Mein Vater wollte mich aber unbedingt zu den Einkäufen begleiten, ich hatte den Eindruck, er musste von Zuhause unbedingt mal raus. Und so kam es, dass wir diese Einkäufe immer mehr zum miteinander reden nutzen. Denn daheim, mit ihr, war es nicht möglich. Ständig mussten wir uns Vorwürfe anhören, dass wir alles hinter ihrem Rücken machen würden und ich ein absolutes Papa-Kind sei und und und … Selbst wenn mein Vater und ich uns per WhatsApp lustige Videos teilten, war meine Mutter eifersüchtig. Das hatte dann zur Folge, dass wir uns nur noch sehr selten schrieben, zumindest wenn meine Mutter nicht im Krankenhaus war.

Durch die Corona-Einkäufe fand ich endlich wieder einen intensiveren Zugang zu meinem Vater. Woche für Woche kamen wir einen Schritt weiter und ich er öffnete sich mir gegenüber immer mehr. Er vertraute mir an, wie belastend das Leben mit ihr nur noch sei, dass ihr Verhalten zum Abend hin immer noch schlimmer wurde. Mein Vater und ich verbrachten teilweise eine ganze Stunde im Auto auf dem Parkplatz des Supermarktes, wenn wir zum einkaufen fuhren, da wir ja sonst nie ungestört ohne sie reden konnten.

Das, was ich schon all die ganzen Jahre immer wieder sagte, hatte er mittlerweile selbst erkannt. Endlich! Er fand das Leben mit ihr unerträglich, hielt es fast nicht mehr aus. Wir gingen mehrere Optionen durch, was er machen könnte. Ich schlug vor, dass wir ihm eine Wohnung suchen, ganz in der Nähe. Er wollte unbedingt in unserem Stadtteil bleiben und am liebsten auch gar nicht aus dieser Straße ausziehen.

Aber er lehnte ab und erzählte mir erstmals, dass meine Mutter mit ihm zusammen unbedingt umziehen wollte, zurück in die Nachbarstadt, in ihre alte Heimat. Ich war überrascht. Davon wusste ich nichts und sie wusste auch genau, warum sie mir davon nichts erzählt hatte.
  
Sie wollte meinen Vater nun endgültig von uns trennen und ihm somit auch noch die letzten Kontakte und das, woran er Freude hatte, nehmen. Irgendwann thematisierte ich das Mal bei ihr und schlug dann in einem Streit vor, dass sie ja auch einfach wegziehen könnte, ohne ihn. Sie wollte sich ja immer von meinem Vater trennen und sagte vor Zeugen schon mehrfach, dass sie nur wegen seines Geldes blieb. Selbst mein Vater war zu diesem Zeitpunkt mit von der Partie und wir alle versprachen, bei ihrem Umzug zu helfen. Meinem Vater war deutlich anzumerken, wie gut ihm unsere Unterstützung tat. Er wurde zunehmend mutiger.

Aber leider … blieb ihr Umzug und die Trennung von ihm für uns alle nur eine Hoffnung. Natürlich wollte sie ihn loswerden, das wurde immer deutlicher. Sie erzählte immer mehr herum, was er alles falsch machen würde, wie „schusselig“ er mittlerweile wäre. Was er nicht mehr schaffen würde. Er war zu dem Zeitpunkt fast 80 Jahre. Ich finde, da darf man Kleinigkeiten auch schon mal vergessen, gerade, wenn man einer so ständigen Dauerbelastung ausgesetzt und dadurch schon chronisch erschöpft ist.
  

Machtkampf um Kontrolle: Der Versuch, meinen Vater zu entmündigen (27) »