Der bunte Tabletten-Mix: Ein gefährliches Geheimnis (22)


Irgendwann fiel uns auf, dass sie immer genau die Erkrankungen bekam, die sie in TV-Reportagen sah, z.B. in den Medizin-Magazinen der regionalen TV-Programme. An mehreren Stellen in der Wohnung verteilt lagen ja weiterhin Stapel der Apotheken-Umschau, medizinische Ratgeber, mehrseitige Informationen zu den unterschiedlichsten Erkrankungen, die mein Vater ihr immer und immer wieder ausdrucken musste. Wenn sie sich hinsetzte, sei es beim Kaffeetrinken oder abends vor dem TV, saß sie mittlerweile oft in mitten von Beipackzetteln ihrer Medikamente, die sie zum x-ten Mal studierte oder las erneut die Entlassungsberichte ihrer letzten Krankenhausbesuche.

Waren wir selbst erkrankt, so sagte meine Mutter, dass sie daran auch schon erkrankt war oder sogar akut daran erkrankt sei. Dabei war es völlig egal, was es war, aber sie hatte es dann auch und ihr ging es schlecht damit.
  

Mit zunehmenden Alter wurde es für sie immer schwerer, manche Dinge zu vertuschen. Bei ihren unzähligen Krankenhausbesuchen brachte mein Vater irgendwann mal eine ihrer Tasche mit nach Hause und durch Zufall – denn ich sollte das natürlich nicht sehen – bekam ich mit, wie er eine Plastiktüte mit vielen bunten, einzelnen Tabletten auspackte. Sofort fragte ich nach, was das sei. Er erzählte mir, dass sie die Tabletten, die sie im Krankenhaus bekommt, nicht einnimmt und diese heimlich durch ihre eigenen von zuhause austauschen würde. Als ich ihn fragte, wie meine Mutter denn an die Tabletten von zuhause rangekommen wäre, sagte er mir, dass sie ihm angeordnet hätte, er solle ihr diese mitbringen. Die Tabletten vom Krankenhaus hatte sie alle in dieser Tüte gesammelt, mein Vater sollte sie nun mitnehmen und daheim in einer Schublade verstecken.

Ich wurde natürlich sofort hellhörig und hatte meinem Vater zu dem Zeitpunkt erstmal aufgeklärt, dass er gerade aktiv dazu beiträgt, ihr Spielchen im Krankenhaus weiterzuspielen und somit ihr Komplize sei. Ich erinnere mich noch sehr genau an seinen Gesichtsausdruck, als ihm das so richtig bewusst wurde. Ich weiß nicht, wie oft er das vorher schon für sie gemacht hatte. Nach und nach wurde mir auch klar, dass sie mit Sicherheit nicht die Medikamente einnahm, die der Arzt ihr verschrieb. Dafür eigenmächtig handelte und sich tatsächlich auch aus der Krankenhaustüte mit dem lustig-bunten Tabletten-Mix bediente. Sprich in welcher Form auch immer Medikamentenmissbrauch beging.

Als ich dieses Thema bei ihr ansprach, stritt sie den Medikamtenmissbrauch natürlich ab und erklärte, sie wollte ihre Medikamente im Krankenhaus von daheim haben, weil es im Krankenhaus manche Medikamente nicht geben würde. Das mag ein Stück weit richtig sein, aber das Krankenhaus kann die Medikamente nachbestellen, sofern meine Mutter diese wirklich benötigen würde, also diese Medikamente medizinisch notwendig wäre. Und selbst wenn es so gewesen wäre – dann hätte sie diese Tabletten aus dem Krankenhaus einfach entsorgt und sich nicht nach Lust und Laune daraus bedienen müssen!  

Meiner Meinung nach hat sie bestimmte Medikamente bewusst so eingesetzt, dass sie Erkrankungen bekommt bzw. es so aussehen würde, als wenn sie diese Erkrankungen hat. Ein hochgradig gefährliches Spiel!
  

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