Kontrolle ohne Verantwortung: Wenn andere alles regeln müssen (14)


Die medizinischen Unterlagen häuften sich bei ihr an. Sie wollte von allen möglichen medizinischen Schreiben und Berichten Kopien für andere Ärzte. Meist ältere Krankenhausberichte, nie die aktuellen. Viele Berichte verschwanden auch oder sie zerriss diese, vermutlich, damit keiner sie lesen durfte. Vielleicht war sie aufgefallen? Vielleicht standen in einem der Berichte Dinge drin, sie keiner lesen sollte? Man weiß es nicht.
  
Mein Vater wurde im Laufe der ganzen Jahre so etwas wie ihr persönlicher Sekretär, schrieb Briefe für sie, E-Mails, kümmerte sich um den gesamten Papierkram und sowieso um die Finanzen. Sie tat das alles immer mit der Ausrede ab, dass sie das „nicht könne“. Wollte es aber auch nicht können. Versuchte man, ihr etwas zu erklären, sagte sie nur: „Der Papa macht das immer so schön, warum soll ich das denn machen?!“. Er nahm ihr alles ab. Einfach alles.

Sie wollte zwar alles bestimmen, die Zügel stets in der Hand haben, aber selber etwas machen und dann noch, was andere ihr sagten – nein, das wollte sie auf gar keinen Fall, da war sie stur.
  
Jetzt, nach seinem Tod, gibt sie an, sie könne noch nicht einmal Papiere abheften. Obwohl ich mich veräppelt fühlte, als sie behauptete, sie wüsste nicht, wie man ein Blatt Papier locht, zeigte ich es ihr mehrfach. Erklärte ihr, wie man das Papier nach dem lochen nimmt und in den Ordner abheftet.

Trotzdem weigert sie sich, Papiere selbst zu lochen, wenn ich mit ihr zusammen versuche, Ordnung in ihr Briefe-Chaos zu bringen. Es ist halt immer schöner, wenn andere alles für sie machen. Es ist eine erlernte Hilflosigkeit, in der sie sich wohlfühlt und nun nach so vielen Jahren nicht mehr herausfindet.
  

Ein medizinisches Wunder: Schlaganfälle, die nie Spuren hinterlassen (15) »