Bagoyi – Kapitel 002


Jedenfalls irgendwann muss es mich an ausgerechnet solch einem Tag doch gestochen haben, unbedingt ins Bochumer Planetarium zu gehen.

Und das mir, der sonst für solch einen Firlefanz absolut nichts übrig hatte.

Tatsächlich mich hatte am Abend zuvor auch etwas gestochen … nur es war doch ziemlich unbedeutend gewesen.

Irgend so ein kleines Mückenvieh hatte mich wahrscheinlich als willkommene Beute ausgesucht und wollte wohl eine Singleparty bei mir feiern und sich mit meinem Blute so richtig voll laufen lassen.

Beinahe hätte ich auch den Plagegeist erwischt, als ich den Stich im Nacken spürte und sofort mit meiner Hand danach schlug… aber leider nur beinahe.
Durch den Andrang an der Theke – wir standen fast in Zweierreihe – traf ich nur das Bierglas meines Hintermannes, der gerade über meine Schulter sein Bier in Empfang nahm.

Meine heftige Reaktion wegen des Mückenstiches kosteten mich dann zwei Kurze und zwei Bier.

Dafür lernte ich aber einen prima Kumpel kennen, mit dem ich dann bis zur Polizeistunde über Gott und die Welt gelabert habe.

Es tat mir, nebenbei bemerkt, auch so unheimlich gut, wieder jemanden zum Zuhören zu haben und verstanden zu werden, auch wenn man wie ich solo lebt.

Die Zeit in meiner Stammkneipe ging viel zu schnell herum und wir hatten uns dann auf ein paar Bierchen zum nächsten Abend in dieser Pinte verabredet.
  

Bei meinem Kumpel… wie nannte der sich damals noch mal – ich habe doch glatt den damaligen Namen vergessen… na ja, kein Wunder bei … also, bei meinem Kumpel musste irgendwas dazwischengekommen sein, denn er hinterließ bei Gisbert, dem Kneipenwirt, eine Nachricht für mich.
Ich sollte doch, wenn ich Lust hätte, zum Planetarium kommen und mir eine Vorstellung ansehen.

Eine Karte sei schon für mich reserviert und an der Kasse auf meinem Namen hinterlegt.

Nach der Vorstellung – mein Kumpel hatte dort etwas mit der Technik zu tun – hätte er dann Zeit und wir könnten uns dann erneut einen zur Brust nehmen.

Als ich damals diese Zeilen las, musste ich zum Werbeplakat des Planetariums an eine der Kneipenwände sehen.

Schon am Tag zuvor während des ganzen Abends hatten mich die Sternenkonstellationen auf dem Plakat manchmal wie magisch angesehen.

Je mehr Bierchen wir zu uns nahmen, umso toller ging die Fantasie mit mir durch.

Ich weiß noch, wie wir uns lachen gebogen hatten, als jeder von uns seine Gestalten schilderte, die er in den Sternbildern des Plakates sah… Jungfrau, Waage, die Bären….

Mensch,… was waren wir blau gewesen… Oberkante Unterlippe war nichts dagegen!

Und als nichts mehr rein ging und bald aus den Ohren wieder herauskam, da hatten wir und Gisbert, der Wirt, Schluss gemacht, wir unsere Zeche bezahlt, Gisbert seine Hütte abgeschlossen und wir sind alle leicht schwankend in unsere jeweilige Heia abgehauen.

Tja… und am nächsten Abend… also der berühmte… da wollte ich eigentlich doch nicht ins Planetarium gehen.

Was sollte ich da wohl – Sterne ansehen, die es doch nicht gab, oder erst noch gibt… oder?

Aber die guten Erinnerungen an meinen Kumpel halfen mir, mich aufzuraffen und den Weg zum Planetarium zu machen.
  

Als ich vor dem Planetarium in Bochum stand, da war ich doch überrascht.

Die Kuppel war groß und im Schein der untergehenden Sonne fast drohend, fremdartiger anzusehen.

Es fröstelte mich etwas, als ich den Weg zu Kasse nahm… so, als wenn ich so eine Vorahnung hätte.

Worauf eigentlich, dachte ich ziemlich erstaunt, und betrat dennoch, und auch etwas verwirrt, den Kassenraum.

An der Kasse begann dann sprichwörtlich meine Pechsträhne: kein Kumpel da, dafür ein übervoller Vortragssaal und nur noch ein Behelfsplatz für mich.

Ich wurde ziemlich sauer darüber und wollte aus mittelprächtiger Wut sofort umkehren und zurück zu meiner Kneipe abhauen.

Aber… da ich schon mal da war, der Spaß ja nichts kostete, ging ich doch hinein.

Mein Platz war dann doch nicht so schlimm, wie es die Tante an der Kasse erzählt hatte.

Ich bekam einen ordentlichen Sessel wie alle Anderen – nur mein Platz war zwischen zwei hüfthohen verkleideten Gegenständen gelegen und hinter dem Kopfteil stand ein Schaltschrank oder so etwas Ähnliches.

Es muss doch einer gewesen sein, denn im Nachhinein kann ich mich an die auf dem Boden liegenden Kabel erinnern.

Bevor es dann los ging, fragte mich irgendjemand, ob mir die provisorisch aufgestellten technischen Apparaturen stören oder ob man anfangen könne – ich gab meinen zustimmenden Kommentar dazu und das Spektakel fing endlich an.

Im Rückblick muss ich gestehen, dass mir das Ganze damals doch mächtig gefallen hat.

Es war eine schon fast nicht zu beschreibende Atmosphäre, als am künstlichen Himmel die Sterne aufgingen und in der Kuppel ihre Bahnen zogen.

Leise Musik kam dazu aus dem Kopfteil meines Sessels – ich hatte ihn inzwischen wie die anderen Besucher in die Waagerechte geschwenkt – und der Vortrag fing an.

Ich lauschte der Musik, hörte die Erklärungen und sah die vielen Sterne über mir am künstlichen Himmel – kurzum, ich fühlte mich auf einmal so richtig wohl, locker und gelöst.

Die tollsten Gedanken gingen mir durch den Kopf.

Es musste anscheinend etwas mit dem gestrigen Tag zu tun haben.

Und ich genoss dabei ein bisher nie erlebtes Gefühl der Entspanntheit und Gelöstheit an Leib und Seele.

Bis… ja, bis eine von den Besucherinnen, die in meiner Nähe saß, auf die glorreiche Idee kam, in der Dunkelheit eine Dose mit Limo aufzureißen, um zu trinken.

Nur… die Dose stand wahrscheinlich unter Druck und mit der Grazie eines dressierten Nilpferdes riss die Frau den Verschluss ab.

Das Ergebnis war wie in einer jener alten Spielfilme von Dick und Doof:

Die herausspritzende Limo spritzte erstens ausgerechnet mir ins Gesicht und zweitens auf die hinter mir stehenden Elektroanlagen.

Und da Schaltanlagen auf Feuchtigkeit allergisch reagieren, reagierte die gesamte Technik um mich herum auch so – nur mit dem klitzekleinen Unterschied, dass gesundheitliche Allergien nicht sofort beginnen.

Während ich mir gerade mit meinem Taschentuch die Limospritzer aus dem Gesicht wischte und gönnerhaft-abwinkend auf das Gelaber der Tussi reagierte – man war ja Mensch; denn auch mir war schon mal so etwas mit ´ner Büchse Bier passiert… schade damals um das schöne Bier – verspürte ich zuerst ein leichtes Kribbeln hinter dem linken Ohr.

Ich beachtete es nicht groß, denn wegen meiner halbkreisförmigen Narbe bin ich solch ein Kribbeln bei Wetterumschwüngen gewöhnt.

Ach ja… übrigens, die Wunde, aus der dann die Narbe entstand, hatte mir vor zig Jahren ein Pferd Untertage freundlicherweise zugefügt.
  

Wir Lehrlinge waren gerade am Buttern – ach so, ja, also beim Essen – auf der fünften Sohle von unserer guten alten Zeche Engelsburg, und hatten es uns so richtig gemütlich gemacht.

Unser Grubenpferd – ich glaube, es hieß Moritz – stand bei uns herum und sah uns zu.

Und unser Lehrhauer – ein altes Unikum, aber sonst ein prima Kerl – hatte uns Neuen vor der Naschsucht von unserem Moritz gewarnt und sich und seine Bütterchen schon früh genug in Sicherheit gebracht.

Nur wir Lehrlinge glaubten klüger zu sein wie das Küken von der berühmten Henne und dachten, der Alte wolle uns auf den Arm nehmen.

Als aber plötzlich eine aus der Dunkelheit auftauchende Pferdeschnauze in mein Butterbrot biss und mit dem Rest auch noch wiehernd abhaute, da ging uns und mir als Leidtragender ein Licht auf.

Alle lachten, als ich fluchend aufsprang und hinter dem davon rennenden Gaul herlief.