… nur bis doof und dann Kuhsaft … ✔️


Es war schon einige Jahre her, als Cylly Dowener beschlossen hatte, frei nach dem Motto „… öfter mal was neues …“ ihr bisheriges Umfeld zu verändern.

Statt Ludwigstr. 34 war es dann die Barupperstr. 98.
Der Umzug war ohne besondere Komplikationen – auch finanziell – verlaufen.
Ihre neue Wohnung, 1. Etage, 45 m2 in einem 3-geschossener Altbau mit 6 Wohnungen, Baujahr 1998, richtete sie sich ihrem individuellen Geschmack ein.
Das einige Menschen, die sie besuchten, sogar bis heute, ihre Nase deswegen leicht rümpften, war für Cylly ohne Bedeutung.

Nur auf einen Menschen, ihrem Nachbar Zak (Zacharias Boldersweil), hörte sie später im Laufe der Jahre, wenn dieser mit knappen Bemerkungen seinen Senf, von mild bis scharf, zu einer, meistens ihrer, Problemlösung dazu gab.

Dabei war Zak eigentlich figürlich nicht so ihr Typ.
Er war auch nich besonders als schön anzusehen.
Hatte knapp ihrer Größe von 1,68 m.
Seine dünnen Haare waren farblich dreckig-grau und widerborstig.
Das Gesicht war ohne besonderem Format.

Aber es gab etwas, was sie indirekt verband.
Beide waren Bürgergeldbezieher.

Er hatte auch keine athletische Figur, war aber so gebaut, das sie sich nicht an einer knöchernen Figur stoßen konnte.
Es gab einen leichten Bauchansatz bei ihm.
Und er hatte zudem die Schuhgröße 45.

Sie hingegen war einfach nur ein weiblicher Mensch mit fraulicher Grundausstattung.

Altersmäßig hatten beide etwas Besonderes zu bieten.
Sie waren gemeinsam an einem 29. Februar geboren worden.
Sie im tiefsten Sauerland, er im flachen Norden.

Bei Zak gab es mit der standesamtlichen Anmeldung als neuer bundesrepublikanischer Mensch durch seinen Vater Hans-Jürgen (32 Jahre) keine Aufregung.

Bei Cylly gab es damals aber einige Aufregung bei der standesamtlichen Anmeldung als neuer bundesrepublikanischer Mensch durch ihren Vater, Egon Dowener, dessen besten Freund Igor (38 Jahre) und dem Standesbeamten Nikolaus Globach (45 Jahre).

Direkt einen Schuldigen dafür gab es eigentlich nicht.
Es war mehr eine … Verkettung … ein unvorhersehbar Zusammenprall besonderer Umstände.
  

Es begann am 28. Februar, dass Cyllys Mutter Gundular Dowener (28 Jahre) beim Säubern und Eiersammeln ihrer 18 Hühner bemerkte, dass ihre Wehen sich ein wenig schneller als zuvor bemerkbar machten.
Der gute alte Hausarzt Dr. med. Rüdiger Baumjohann, im 68 Lebensjahr, hat den Geburtstermin ihres ersten Kindes frühestens auf den 4. März attestiert.
Aber mit Nachdruck … frühestens!

Gundular Dowener überlegte nicht lange, brachte die Eier ins Haus zog den Arbeitskittel aus, hängte diesen vorbildlich in der Diele auf und ging etwas schwerfällig durch das Dorf die gut 200 m zur Praxis des Hausarztes.

Im karg möblierten Wartezimmer saßen Frida Mönning, 54 Jahre alt, ca. 90 Kg Lebendgewicht bei einer Größe von 1,61 m, und Berte Richter, 48 Jahre alt, 70 Kg Lebendgewicht bei einer Größe von 1,83 m, und tauschten intensiv und halblaut ihre Klatschgeschichten vom Oberdorf über Mitteldorf bis zum Unterdorf ausführlich aus.

Anwesend war auch Ariane Winter, 43 Jahre alt, die Lebensgefährtin von Nikolaus Globach (46Jahre) und sie blätterte in einigen zerfledderten Frauenmagazinen, die auf einem kleinen Tischchen im spärlich möblierten Wartezimmer lagen.
Böse Zungen spotteten, dass schon der letzte deutsche Kaiser an diesem Tischchen gesessen habe.

Und Leon Clausen, 13 Jahre alt, der spielte heftig mit seinem Tamagotchi und alle Anwesenden wussten, dass Leon wieder einmal eine ärztliche Entschuldigung brauchte, weil er wenig Lust auf Schule hatte.

Sofort wurde Gundular von den 3 Frauen interessehalber wegen ihrer ersten, und doch etwas späteren Schwangerschaft angesprochen.
In der nächsten Zeit entwickelte sich ein angeregtes Geplauder über ihre Wehen und über Wehen im Allgemein.
Weiterer Gesprächsstoff streifte Hausgeburt, Hebamme, Kaiserschnitt, Nachgeburt, Muttermilch und weitere Situationen im Umfeld vor, während und nach des Geburtsvoganges.

Und Leon stand vor einer schweren Entscheidung.
Entweder weiter mit dem Tamagotchi spielen oder nur so zu tun, um aus dem Gesprächen der Frauen etwas Neues in der für ihm geheimnisvollen Sache des Kinderkriegen mitzubekommen.

Fast gestört fühlten sich die Anwesenden, als die Tür vom Vorzimmer des Doktors schwungvoll aufgestoßen wurde und Hubert Mazanke, 62 Jahre alt, schlank, ins Wartezimmer stolperte.

Gefolgt von der Sprechstundenhilfe Doris Arnd (63 Jahre), die es gerade schaffte, Hubert vor einem Sturz zu bewahren.

„Sauf Dich doch tot, Du verdammter Idiot …“, motzte sie halblaut und begleitete Hubert zur Ausgangstür der Praxis, öffnete diese und schob Hubert hinaus.
Hubert brabbelte etwas Unverständliches, Doris gab ihm einen weiteren kleinen Schubs und schloss die Eingangstür der Praxis.

Sie ging mit grimmiger Miene ins Vorzimmer zurück und kam kurz danach zurück und hielt mehrere Papiere in der Hand.
„Hier …“, sie reichte eines Frida Mönning, „… der Doktor meint, Du solltest noch weniger Fleisch essen.

Ein Kringel Fleischwurst in der Woche ist zuviel.
Dafür mehr Gemüse essen.
Dein Cholesterinspiegel ist unter aller Sau.
Und das Medikament genau wie im Beipackzettel einnehmen.
In 10 Tagen hier um 9 Uhr 45 zur Kontrolle.“

Frida Mönning nahm das Papier mit ernstem Gesichtsausdruck an, nickte, verstaute es in ihren Kulturbeutel, stand auf, ging zur Praxisausgangstür und hinaus.
Beim Schließen der Tür schien ihr die Türklinke aus der Hand geglitten zu sein, denn es rumste heftig.

„… die Tür ist zu …“, murmelte Doris und reichte der Berte ein Rezept.
„Der Doktor meint, dass Du lieber die Kurzen weglassen sollst.
Gegen eine Pulle 0,5er Pils am Tag ist nichts zu sagen. Ein kräftiger Schluck nach dem Frühstück, einen beim Mittagessen und den letzten nach dem Abendbrot.“
Interessanterweise glitt auch Berte die Türklinke der Ausgangstür aus der Hand und es rumste auch heftig.

„… das war Tür, die 2 …“, murmelte Doris und reichte Ariane eine Überweisung zu einen Facharzt. „Der Doktor hat einen Termin gemacht. In genau 13 Tagen um 11 Uhr … die Medikamente von 3 Stück am Tag auf 4 Stück anheben.
In genau einer Woche hier beim Doktor antanzen.
Morgens absolut nüchtern … nichts trinken und nichts essen … Großes Blutbild ist wieder fällig.“

Doris Arnd sah zu Leon. „Deine Entschuldigung für heute.
Der Doktor überlegt, wann und wo er Dich mal so richtig untersuchen kann … so mit allem.
Schlauch schlucken wegen Magengeschwür … und mit Großem Blutbild.
Darmspiegelung komplett.
Der Hals-, Nasen- und Ohrenarzt hat Dich schon auf seinem Laufzettel.
Auch der Kardiologe sollte Dich mal durchchecken …“.

Weiter kam Doris nicht, denn Leon sprang wie von einer Tarantel gestochen auf, verstaute das Tamagotchi in seine Hosentasche, riss ihr das Rezept aus der Hand und rannte zur Praxistür.
Drehte sich herum, sagte fast artig „Danke“ und ging eilig hinaus.

„Nun zu Dir, Gundular …“, sagte Doris und hielt ihr zwei Blatt Papier hin, „… vorsichtshalber vom Doktor für heute noch eine Krankenhausüberweisung.
Und auch jetzt schon eine für morgen.“
Gundular nahm beide Krankenhausüberweisungen entgegen und Doris beugte sich vertraulich zu ihr. „So mal so unter uns Pastörentöchter … wenn Dein Kind morgen am 29. Februar zur Welt kommt … versuch es bis zum 1. März hinauszuzögern. Dein Kind wird Dir dankbar sein, jedes Jahr Geburtstag feiern zu können.
Und nicht nur von mir alles Gute für Mutter und Kind.
Beim nächster Schützenfest … Du kennst das ja.“

Gundular nickte etwas angespannt, nahm die beiden Überweisungen und stand etwas schwerfällig auf. „Man sieht sich …“, entgegnetet sie und ging langsam zur Praxistür und hinaus.