Gefährliche Spielchen: Als sie meinen Vater in Gefahr brachte (31)


In den letzten Jahren wurden die Besuche bei ihr immer anstrengender, egal welcher Art. Irgendwann rutschte mir relativ häufig die ironische Frage raus, ob wir mal wieder den Rettungswagen holen müssen oder es heute auch ohne geht. Sie bekam viel Gegenwind, von allen Seiten. Man merkte nun deutlich, dass sie mit ihren taktischen Spielchen bei den Ärzten nicht mehr so wirklich Erfolg hatte. Zu ihrer sonst eh schon vorhandenen Unzufriedenheit gesellte sich nun noch eine richtige Boshaftigkeit dazu. Es waren sehr belastende Jahre. Mein Kind ging sonst regelmäßig mit zu meinen Eltern, konnte sich das alles ab einem gewissen Zeitraum nicht mehr mit ansehen, die Belastung war einfach zu groß. Und ich verstand ihn, natürlich.

Meine Mutter vergiftete einfach jedes Gespräch, jedes harmonische Miteinander, alles, was wir noch irgendwie versuchten – meinem Vater zuliebe. Damit er zweimal in der Woche für ein paar Stunden noch so etwas wie Wärme und Herzlichkeit erfahren durfte. Ein paar Stunden Spaß hat, Unterstützung. Mal liebe Worte hört. Sie hielt ständig dagegen und versuchte, die ganze Situation mit vielen bösen Worten und an den Haaren herbeigezogenen Vorwürfen kaputt zu machen. Und auch die RTW-Einsätze wurden „anders“.

Bei einem Rettungswagen-Einsatz z.B. wurden wir wie gehabt von meinem Vater informiert, er hätte sie gerade noch so halten können, sonst wäre sie gestürzt. Als ich die elterliche Wohnung betrat, lag meine Mutter kurz vor der Wohnungseingangstür im Flur. Ich schaute mir misstrauisch kurz dieses Szenario an und lies mir den Vorfall erklären. Sie wäre aus der Toilette gekommen, wo ihr schwindelig war oder wurde, daraufhin sei sie in den Korridor gegangen bis zur Küche, wo sie gerade noch zu ihm hauchen konnte, dass ihr schwindelig sei. Dann ist er, selbst sturzgefährdet und schwach, zu ihr hingestolpert, sie hat sich in seinen Arm geschmissen und er hat es dann irgendwie noch geschafft, sie auf den Boden gleiten zu lassen, musste sich dabei aber auch selbst abstützen, weil er halt nicht mehr standsicher war.
  
Als ich die Story hörte und mir das bildlich versuchte vorzustellen, sah, wie sie da lag und wie sie reagierte, wusste ich genau, dass das wieder einer ihrer Mätzchen war. Dementsprechend sprach ich auch mit ihr, mir ging das zugegebenermaßen auf den Keks. Sie hätte einen Schlaganfall, gab sie selbst bei mir an und konnte eine Seite nicht bewegen.

Da sie nicht gefallen war, das konnte er mir glaubhaft versichern, zog ich sie ein bisschen weg von der Tür. Sie half natürlich kein Stück mit und lies sich von mir ziehen. Beim ziehen stellte ich fest, dass sie sehr wohl alle Gliedmaßen bewegen konnte. Das war uns allen aufgefallen, zum Glück hatte ich das nicht nur alleine gesehen.

Kurz danach kam der RTW. Die Sanitäter stellten nichts bei ihr fest, obwohl sie beim abtasten doch ziemlich viel Theater machten. Einem Sanitäter fiel wie mir schon vorher auf, dass sie sehr wohl Arme und Beine bewegen konnte und keine Lähmung vorlag. Das versuchte sie aber zu überspielen und fing an zu jammern und zu schreien, immer wenn sie darauf angesprochen wurde. Mir platzte bald der Kragen. Den Rest brauche ich nicht zu erzählen, es ging wie immer aus. Krankenhaus, Entlassung, sie hatte nichts.
  
Im mittlerweile schon Standard gewordenen Nachgespräch mit meinem Vater stellte sich dann heraus, dass es tatsächlich schon mehrere Situationen gab, in denen mein Vater „ihr zu Hilfe eilen“, sie „auffangen“ musste und ähnliches. Ich erinnerte mich an eine frühere Geschichte vor vielen, vielen Jahren. Damals hatte mein Vater auf eigenartige Art und Weise meine Mutter mit dem Kopf hängend über der Badewanne gefunden. Das alles machte damals keine Sinn, genau so wenig wie diese Ereignisse jetzt.

Und er erzählte weiter, dass er bei ihren jetzigen Eskapaden immer höllisch selbst aufpassen musste, dass er selbst dabei nicht fällt oder sich verletzt, es gab wohl schon Situationen, da hatte sie ihn tatsächlich dadurch zum Sturz gebracht.

Ich war mehr als nur entsetzt. Als ob sie es darauf anlegen würde, dass er stürzt! Und genau das war auch meine wirkliche Vermutung, die ich ihm gegenüber auch sehr deutlich äußerte. Sie legte es darauf an, dass er sich verletzt!!! Wir rieten ihm mehrfach dazu, in solchen Situationen wirklich primär an sich zu denken. „Lass sie ihre Spielchen machen, informiere uns. Wenn sie irgendwo liegt, lass sie liegen, hol uns oder die Rettung. Gefährde dich nicht selbst!“ Er versprach uns, dass er ab jetzt mehr auf sich achten würde.
  

Ein seltsamer Sturz: Unfall oder bewusste Selbstverletzung? (32) »